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Ich wünschte mir gerade eine Lobby für Tätigkeiten ohne Renomée. Am ersten Tag der Re:publica noch hoffnungsvoll gestimmt, fällt mir seit dem zweiten Tag die Abwesenheit von etwas, was ich hier eben auch erwartet hatte, immer deutlicher auf. Was es genau ist? Vielleicht so etwas wie die stärkere Thematisierung einer Blogger-Kultur? Oder besser: Bloggen als kulturelle Praxis? Ich kann es schwer in Worten fassen.

Der Blogger, der mir hier repräsentiert scheint, sucht nach Möglichkeiten Geld mit seiner Tätigkeit verdienen. Dabei will er nicht der totale Buh-Mann sein. Bestimmte Sachen, die nicht Blog-"pc" sind macht er natürlich nicht, aber er sagt gern mal "Hallo" zu Google-Ads („ich mag euch nicht, aber immerhin spielt ihr mir meine Hostingkosten wieder rein“) und „Ja“ zu gekennzeichneten Produkttests. Adical tut auch nicht weh. Er ist nach eigenem Anspruch so etwas wie ein extrem subjektiver Journalist. Am besten packt er gleich mal seine besten Blogbeiträge als Portofolio zusammen und dokumentiert zudem die Fähigkeit, ellenlange Kommentarstränge zu generieren und geschickt zu moderieren. Wenn er damit nicht erfolgreich wird, kann er immerhin lokal vernetzt (Citizen davor oder nicht) als Schreibender zu einer Medienplattform gehen oder es fällt ihm sonst eine Form der Professionalisierung oder Vernetzung ein. Wenn gar nichts klappt, geht er nach Berlin und gründet einen „total einfach zu handhabenden“ Webservice.

Des Bloggers Kunst ist das richtige Benutzen von Tags und RSS-Feeds, die man abonniert, statt auf all die verlinkten Seiten seiner Blogroll zu gehen. Die Blogroll gibt es dennoch weiterhin, denn damit positioniert er sich. Er geht durchaus noch zu ausgewählten Blogs, dem Blog-Feuilleton, um ein bisschen Atmosphäre einzuatmen, sozusagen als Wellness-Oase im gewaltigen Strom der Röhren.

Was ist eigentlich mit den Medienamateuren, den Dilettanten? Scheint nicht sehr erstrebenswert zu sein. Der Ruf zu schlecht, der Lohn zu niedrig. Der Dilletantismus hat eine schöne Tradition. Da kann man mit den Schäferspielen im Barock anfangen und mit der musischen Bildung, die ja immer noch gesellschaftlich gewollt ist, aufhören.

Vor kurzem hat mir eine Bekannte von einer Frau erzählt, von deren Wohnung sie extrem beeindruckt war: Diese Frau wohnt in einer großen Hochhaussiedlung. Ihre Eiche-Rustikal-Wohnzimmerwand ist von oben bis unten mit buntem Zuckerguss verziert. Sie will weder Zuckerbäckerin werden, noch Innenarchitektin. Sie findet einfach nur den Zuckerguss auf ihren Möbeln schön.
Liisa meinte am 13. Apr, 23:43:
Als Diletantin danke ich für dieses Plädoyer! :) Bei mir stellte sich nach dem Mitverfolgen der ausführlichen Berichterstattung von der re:publica auch etwas der Frust, aber Stimmen wie diese hier trösten dann doch ein wenig! 
tinowa meinte am 13. Apr, 23:56:
Es hatte ja auch schöne Momente. Alle waren da. Zum Gucken grandios. Doch nachdem gestern soviel Werbung und heute die Journalismus-Debatte dran kamen, habe ich mich schon gefragt, ob da nicht was fehlt. Etwas was auch das Bloggen ausmacht. Was ich eigentlich am Mittwoch bei der Veranstaltung "Leben im Netz" erhofft hatte. Dort habe ich allerdings dann mehr über Xing gelernt als ich je wissen wollte. Die Stunde mit Don Dahlmann und Jörg Kantel war heute dann noch ein netter Ausklang. 
debaser meinte am 14. Apr, 00:16:
"Vielleicht so etwas wie die stärkere Thematisierung einer Blogger-Kultur? Oder besser: Bloggen als kulturelle Praxis?"

Nun, wieso suchst du auf der Bühne akademischer Selbstdarsteller nach der Lust am Dilettantismus? Ich dachte, der gedeiht in den Ecken und Nischen, nicht unter Rahmenverspannungen wie ökonomischer Verwertbarkeit oder öffentlicher Breitenaufmerksamkeiten. Was nutzt dir repubslikwas, wenn du Zuckergussmöbel bestaunen möchtest? Oder, was sind Amateure, wenn sie eigentlich Profis sein möchten? 
tinowa antwortete am 14. Apr, 00:25:
Ich fand das gebotene Schauspiel ja durchaus sehr spannend, nur die Bandbreite war letzlich weniger groß als von mir erwartet. Das ist der Punkt.
Und dennoch, das Herz sehnte sich heute ein wenig... 
OliverG meinte am 15. Apr, 02:46:
hm, ok
und wenn du darüber reden wolltest, warum dann nicht in eins der mikrofone? dafür waren sie da ;) (ersnthaft, trotz smiley)

((ich hatte das so verstanden, dass "diese dinge" eh allen klar waren. was GENAU wäre denn zu besprechen über das Bloggen als kulturelle Praxis? - abgesehen davon, dass das in einigen Workshops z.B. durchaus passierte...)) 
tinowa antwortete am 15. Apr, 03:33:
Weil es manchmal einfach etwas Zeit braucht seine Gedanken zu ordnen und heraus zu finden, was einen bewegt. Bei mir war das erst am Freitag nachmittag soweit. Ich bin vielleicht einfach zu langsam. (Das geht mir übrigens auch in Internetforen so, bis ich was zu einem Thema schreiben kann, ist der Thread schon ganz woanders angelangt.)

Und tatsächlich gibt es vieles, was mich am Bloggen als kulturelle Praxis interessiert, bspw. wie mit Emoticons und Klammern Stimmungen und Wertungen in Beiträge einfließen. Wie sich der Umgang der Sprache durch das tägliche und dialogische Schreiben verändert und wie damit umgegangen wird. Es gibt ja nicht nur Neuerung für Marketing, Politik und Journalismus, sondern dieses viele öffentliche Schreiben wirkt doch auf die Schreibenden zurück. Das ist doch unheimlich interessant. Da passiert doch was mit jedem einzelnen.