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Wohnzimmer

osthafen1
Mainkai an der Großmarkthalle

Es ist Samstag morgen. Angenehme Temperaturen. Unter dem Wintermantel nur ein T-Shirt und ich friere dennoch nicht. In meiner Hand die Brötchen. Vor der Haustür treffe ich auf A. Mit müden Augen erzählt er von seiner Nacht, dass er auflegen war. Davor war er schon irgendwo und danach noch woanders. Anschließend ging es an einem weiteren Ort, der aber geschlossen hatte, weil gerade die Polizei da war. Dann, also eben, hat er bei Radio X noch was erledigt und muss jetzt 2 Stunden überbrücken, denn es geht dann wiederum irgendwohin.
Sein Gang ist schon ganz schief. In der rechten Hand hängt die große Tasche mit Platten, eine Rolle mit Postern lunzt heraus. Oben in der Wohnung ist er zu müde, um überhaupt die Frage mitzubekommen, ob er Kaffee will. Liegt schon halb auf den Sofa. Der Atem wird schwerer. A. schläft. Irgendwann wird er aufwachen und weiter ziehen.

Ich frühstücke derweil, sitze am Laptop und arbeite an einem Katalogartikel, im Hintergrund läuft leise Gonzales.

koreanischergarten
im Grüneburgpark

Die Luft ist eisig. Schnell sind Hände und Wangen ausgekühlt. Unter den Füßen knistert das Laub. Dieses Stück Stadtwald ist Neuland für mich. Buchenwald, dessen umgefallenen Stämme verrotten dürfen. Bemoostes Altholz, kahle Baumwipfel. Leicht schlurfend watet man durch den Blätterteppich. Rundherum Brauntöne. Von oben dröhnen die Flugzeuge. Ein Blick nach rechts. Eine Bewegung. Jetzt fokussiere ich in den Wald hinein, denn der Weg liegt einsam. Doch alles ruht. Noch ein Blick. Und da seh ich ihn. Ein Hirsch, mit breiten Schaufeln des Geweihs. Er schaut mich an. Eigentlich recht klein, denke ich. Doch ein Rehbock sieht anders aus. Der Hund ist weit voraus. Da: ein Zweiter. Das Geweih noch breiter. Keine 30 Meter entfernt. Der Zweite ist ruhiger und beginnt nach kurzer Pause wieder zu fressen. Der Hund kommt, doch die Hirsche interessieren sich nicht für ihn. Zu klein, keine Gefahr.
wald
Der Hund setzt sich hin. Die Hirsche setzen sich auch, allerdings nicht hin, sondern in Bewegung. Schreiten davon. Durch den Wald. Langsam. Wir bleiben zurück und blicken ihnen lange nach.

Als ich heute morgen zum Bäcker ging, fiel mir das David Lynch-Seminar an der Universität ein, dass ich vor Jahren besucht hatte. Wie überfordert ich war, mir ein Thema zu suchen, zu bearbeiten und im Seminar vorzustellen. Und wieviel leichter es mir heute fallen würde, eine gute These zu einem David Lynch-Film zu finden und diese inhaltlich zu unterfüttern. Mit einer Verwunderung, wie dumm man noch vor 10 Jahren, vor 7 Jahren gewesen war. Und wieviel abgeklärter heute.

Und in einem Moment, indem die Selbgstgefälligkeit sich in einem wohlig ausbreiten will, schießt mir durch den Kopf, dass ich erst vorgestern in der Küche dieser Bornheimer Altbauwohnung stand, auf einer Einweihungs- und Geburtstagsparty. Wie der Mathematiker in der kleinen Küche erklärte, dass sein Fachgbiet die Stochastik ist. Woraufhin ich fragte, ob Stochastik nicht auch etwas aus der Philosophie sei. Und der von der Situation und Party genervte Dritte, der den Parka noch nicht ausgezogen hatte, weil er von Anfang an schon wieder am Gehen war, nur trocken meinte, dass ich wohl eher Scholastik meine.

So dass ich nun erkennen darf, dass ich zu den besten Uni-Zeiten wohl an kombinatorischer und assoziativer Fähigkeit ärmer war, aber an statischen Wissen durchaus reicher gewesen wäre.

Die beste Freundin führte ihn mit verbundenen Augen zum Auto. Ich sagte keinen Ton. Hier ging es nicht um mich. Ich war nur Mittel zum Zweck, im Dienste der "Großen romantischen Geste". Er saß auf der Rückbank. Sie daneben. Ich legte die Kassette ein, die sie mir eben noch in die Hand gedrückt hatte, während sie mit der anderen den Blinden ins Auto hineingeholfen hatte. Als die Musik begann, wußte er sofort was es war. Tristan und Isolde.

Am Anfang zählte er noch die Straßenamen auf. Ein Versuch der Orientierung. Bald hörte er auf. Wurde ruhiger. Wußte nicht mehr wo er war und wohin es ging. Schweigend saßen sie auf der Rückbank. Ich klappte den Rückspiegel nach oben. Hörte auf die Musik und wurde mir bewußt, dass ich vergessen hatte, wie schön der Anfang von Tristan und Isolde ist. Filmmusik - noch bevor Filmmusik erfunden war. Und während ich in den Anlagenring abbog, liefen vor meinen inneren Auge plötzlich Szenen aus Vertigo ab. Was mich verwirrte. Kim Novak und James Stewart. Das Treppenhaus. Die Spirale. Farbfetzen im Hirn und vor mir die nassen Strassen Frankfurts.

Isolde sang: "Wo bin ich hier?". Von der Hinterbank rief es bestätigend: "Genau! Wo sind wir hier?" Dann waren wir auch schon da. Die zwei stiegen aus. Ihr Abend begann erst. Ich fuhr weiter und fragte mich: "Warum Vertigo?"

Erst Nachts, daheim, fällt mir die Frage wieder ein und ich recherchiere im Netz. Werde fündig.
Im Hotelzimmer, in der Szene in der Kim Novak als Totgeglaubte wieder "aufersteht", ähnelt die Filmmusik von Bernard Herrman frappierend dem Eingangsstück zu Tristan und Isolde.



Für mich klärt sich nun, warum der Assoziationstransfer von Wagner zu Vertigo funktionierte. Denn diese merkwürdige in grünes Licht getauchte Szene griff David Reed in seiner Installation "Judys Bedroom" auf. Judys Bedroom ist mein Lieblingsort im MMK. Bei jedem Besuch schaue ich hier vorbei, um zu sehen, ob der Raum noch da ist. Lasse mich von der besonderen Atmosphäre umhüllen. Und immer wieder bin ich erneut überrascht, dass der Raum nicht rosa ist. So wie er sich merkwürdigerweise in mein Gedächtnis gemalt hat.

...ab morgen gibt es wieder täglich mehr Fotos. Ein guter Vorsatz zum Ausgleich für die viele Arbeit, die gerade alles Private überlagert.

"Hände hoch, das ist ein Überfall!". Die Stimme ist laut, ein Kreischen, männlich, sogleich schreit sie es noch einmal, fast überschlagend. Ich bin mit einem Schlag wach. Vor meinem Fenster, direkt in der Einfallschneise nach Alt-Sachsenhausen schreien nachts öfters irgendwelche Spinner herum. Aber es ist Montag, kurz nach Sonnenaufgang und die Stimme erklingt ein drittes Mal. Ich fahre wie ein Blitz aus dem Bett, das Handy ist in Greifnähe, auf dem Weg zum Fenster wähle ich schon die 110. Nur ein Blick, um die Lage zu sondieren, dann werde ich wählen. Vor dem Hotel auf der anderen Straßenseite zwei Männer, stehen vor der Tür, ein dritter mit Maschinenpistole rennt heran. Genau als ich die Wähltaste drücken will, schreit dieser schon: "POOLIZEII!!!". Es rennen immer mehr Männer herbei. Mehr Maschinenpistolen.
Ich beuge mich weit nach draußen. Richtung Affentorplatz stehen ca. 10 Autos in zivil auf der Straße. Vor einem: ein Mann, der von zwei anderen auf den Boden gehalten wird. Nun kommen auch schon die ersten Polizisten mit schweren Westen dazu, POLIZEI steht darauf. Ist das ein Film? Immer wieder werden hier in der Ecke Krimis gedreht. Nein, das ist echt. Vor dem Hotel ein Ameisenhaufen, Männer, alle unter 40, legere Freizeitkleidung, aber mittlerweile mit waffensichren Westen. Die Maschinenpistolen fallen ins Auge, sind groß genug, um nicht übersehen werden zu können. In den Auflauf kommen zwei Männer aus dem Hoteleingang und führen einen Dritten, dessen Hände auf den Rücken gefesselt sind ab, hin zu den parkenden Autos. Vor dem Hotel wird es leerer, noch stehen zwei Männer in der Tür, abwartend, halten diese auf. Kurz darauf wird ein Letzter abgeführt, hier ist nun auch eine Frau in zivil dabei. Ganz zum Schluß kommt noch jemand mit dunkelgrauem Tarnanzug und zwei Männer mit Armbinden aus dem Hotel. Die ersten Autos fahren ab. Jetzt geht es ganz schnell. Eben noch wuselten 20 Schwerbewaffnete auf der anderen Straßenseite. Jetzt löst sich der Tross auf: Audis, Nissans, ein uraltes Auto ist dabei, dessen Getriebe rattert, alle mit Frankfurter Kennzeichen. Nur zwei Fahrzeuge bleiben zurück, bei einem in der Straße geparkten Auto. Schon ist wieder Ruhe eingekehrt.
Es ist 6.45 Uhr, noch eine Stunde bis mein Wecker klingeln wird.

ente
Beim Faulenzen...

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Pompejanum in Aschaffenburg

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